Welche Arten von XR – Virtual, Augmented oder Mixed Reality – eignen sich am besten für welche Zielgruppe und welchen Anwendungsbereich?
Mit diesem Blogeintrag geben wir einen Einblick in unsere Arbeitsweise bei Beantwortung der Frage. Verantwortlich waren die Partner der Berliner Hochschule für Technik.
Zunächst wurden einige konkrete Fallbeispiele eingeführt, die eine sinnvolle Kombination von Anwendungsbereich und Technologie aufzeigen:
Ein erfahrener Ingenieur am Hauptsitz des Unternehmens bietet über einen Video-Call Support zur Reparatur eines Geräts an einem entfernten Standort an. Dabei wird eine technisch versierte Fachkraft, die jedoch nicht über das nötige Expertenwissen verfügt, durch den zugeschalteten Remote-Support durch den Reparaturprozess begleitet. Die Nutzung einer AR-Brille bietet sich für diesen Einsatzzweck gut an, da die lokale Fachkraft die Instruktionen des Remote-Supports direkt umsetzen kann und beide Teilnehmende dasselbe sehen können. Durch die Möglichkeit, das Bild für die lokale Fachkraft im direkten Sichtfeld einblenden zu können, kann der Remote-Support nicht nur den Prozess und die nötigen Handlungsschritte beschreiben, sondern auch direkt für die lokale Fachkraft sichtbar machen.
Eine neue Fachkraft soll notwendige Sicherheitsmaßnahmen erlernen, z.B. Wartung in großen Höhen. Hier wird der Fachkraft über ein VR-Headset die komplette Wartungssituationen mit dem Erleben des hohen eigenen Standpunkts, der Bewegung des Umfelds und der Windgeräusche im VR-Erlebnis simuliert. Die Fachkraft übt den Wartungsvorgang in einer sicheren Umgebung, aber unter realitätsnahen Umgebungsbedingungen. Bei Fehlern ist die Fachkraft geschützt und wird so besser auf den ersten realen Einsatz vorbereitet.
Für den Aufbau und die Inbetriebnahme eines neuen Gerätes hat der Hersteller eine virtuelle Bedienungsanleitung zur Verfügung gestellt. Die Fachkraft des Kunden nutzt dafür ein eigenes Tablet und wird Schritt für Schritt durch den Aufbau des Gerätes geführt. Dabei wird ein kleiner QR-Code am Gerät selbst als Referenzpunkt am Anfang mit dem Tablet gescannt. Danach kann die Fachkraft sich am Tablet die nächsten Handlungsschritte und die Position im realen Raum vor Ort anzeigen lassen und Schritt für Schritt selbst durchführen. Kritische Handlungsschritte oder mögliche Fehlerquellen können so direkt während des Aufbauprozesses mit Hinweisen hervorgehoben werden.
Für die Wartungsschritte an einer neuen Maschine soll ein Mitarbeiter aus dem Field-Service bereits im Vorfeld vorbereitet werden. Hierzu wird der Fachkraft auf seinem Laptop ein 2D-VR-Programm zur Verfügung gestellt. Die Fachkraft kann dann in seinem eigenen Tempo die nötigen Wartungsschritte verinnerlichen und in der Simulation einüben. Dabei können zwar nicht die realen Handgriffe (z.B. das Lösen einer Schraube) geübt werden, aber die Fachkraft kann die Reihenfolge und die kritischen Punkte im Wartungsprozess bereits im Vorfeld identifizieren und die reale Wartung damit besser vorbereiten. Abschließend ergibt sich daraus eine erste Kombinationstabelle der verschiedenen XR-Formen und häufiger Anwendungsbereiche.
Mit den konkreten Beispielen im Hinterkopf, stellten wir im nächsten Schritt allgemeingültigere Aussagen für die Eignung von XR-Technologien auf. Dabei unterschieden wird zwischen Virtual und Augmented Reality Anwendungen sowie zwischen der Hardware Headset / Brille und Laptop / Tablet.
Unser Partner der Siemens-Energy programmierten im Folgenden drei prototypische Anwendungen, die im weiteren Verlauf des Projekts in verschiedenen Kontexten erprobt werden.
Die erste Anwendung wurde für unseren Partner OT Oberflächentechnik generiert. Es handelt sich um eine interaktive Aufbauanleitung für mobile Beschichtungscontainer, die als Augmented-Reality-Anwendung auf einem Tablet laufen soll. Die Zielgruppe sind Field-Service Mitarbeiter und OnSite Personal weltweit. Eine erste prototypische Durchführung fand im Februar 2022 statt. Dabei wurde überprüft, ob die AR-Anleitung Vorteile gegenüber einer klassischen Papieranleitung mit sich bringt.
Im ersten Schritt der Umsetzung reisten alle Partner nach Schwerin zur Forma OT Oberflächentechnik. In dem Treffen demonstrierten erfahrene Fachkräfte den Arbeitsprozess, um den es in der AR-Anwendung gehen soll: Eine mobile Zusatzkabine soll zwischen zwei bereits stehenden 20-Fuß-Containern aufgebaut werden.
Die Projektpartner der Siemens Energy, des Sustainum Instituts und der Berliner Hochschule für Technik dokumentierten den Vorgang genaustens mithilfe von Maßen, Fotos und Videos. Dieses Material diente als Grundlage für die Erstellung der AR-Anwendung.
Im weiteren Verlauf wurde ein 3D-CAD-Modell mit allen nötigen Bauteilen konstruiert und für die spätere Hologrammverwendung texturiert. Das Foto- und Videomaterial wurde aufbereitet und den passenden Arbeitsschritten zugeordnet.
Durch den Scan eines QR-Codes auf einer der bereits stehenden Container soll vom Tablet aus auf die App zugegriffen werden. Die App führt dann Schritt für Schritt durch den Aufbau der Zusatzkabine, wobei den einzelnen Schritten die benötigten Werkzeuge, Hilfsmittel und Bauteile zugeordnet sind. Eingeblendete Hologramme sind der Realität auf dem Tablet überlagert und zeigen dem Nutzer dadurch die richtige Einbauposition eines Bauteils an.
Insgesamt wurden 26 CAD-Bauteile, 48 Hauptarbeitsschritte, 11 zusätzlich nötige Schritte und 86 Mediendateien in die App aufgenommen. Die AR-Anwendung wurde mithilfe der Software „Viscopic PINS“ programmiert. Für Bau und Texturierung des 3D-CAD-Modells wurde die Software „Siemens NX“ verwendet.
Eine weitere AR-Anwendung für Tablets wurde für den Partner EP Ehrler Prüftechnik Engineering programmiert. Hier soll ein Durchflussmengenmessgeräts für die Gasturbinenbrennerwartung mithilfe einer App in Betrieb genommen und gewartet werden. Zielgruppe sind Field-Service-Mitarbeiter und das weltweit agierende Personal vom EP Ehrler Prüftechnik selbst.
Aus einer vorhandenen Produktdokumentation des Durchflussmengenmessgeräts für die Gasturbinenbrennerwartung wurden die Arbeitsschritte abgeleitet und mit dem modifizierten 3D-CAD-Modell kombiniert. Einer erster Praxistest hat in dem Siemens Energy Toolcenter in Forchheim stattgefunden, woraufhin die aufgetretenen Feedbacks eingearbeitet wurden. Im April 2022 soll ein Testlauf an einem Gerät durchgeführt werden. Dabei werden die Handhabung, die inhaltliche Richtigkeit und die Möglichkeit eines Videoanrufs zu einem Backoffice-Experten (Remote-Support) getestet
Bis jetzt wurden 5 CAD-Baugruppen, 111 Hauptarbeitsschritte und 19 Mediendateien eingefügt. Auch hier wurde mit den Softwareprogrammen „Viscopocs PINS“ und „Siemens NX“ gearbeitet.
Für die Service-Mitarbeitenden im Reparatur-Center in Ägypten wurde eine 2D Virtual-Reality-Anwendung für den Laptop erarbeitet. Diese leitet die korrekte Montage einer Gasturbinenbrennerbaugruppe an.
Für die Anwendung wurde eine 3D-Umgebung geschaffen und mit den Modellen des Engineerings die einzelnen Komponenten animiert und texturiert. Die Nutzer können sich dann mit Tastatur- und Mausbefehlen durch die Anwendung navigieren und die Arbeitsschritte erlernen.
Ein Review zur fachlichen Richtigkeit ist mit den Subject Matter Experten erfolgt , das Feedback wird momentan eingearbeitet.